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Schreibregeln

2020-03-30 @

Meine Notizen aus “Deutsch für Junge Profis”

Vieles muss ich unterlassen, wenn ich meine erhofften Leser nicht verscheuchen will: verschachtelte Sätze, aufgetakelte Begriffe, Binsenweisheiten, Geschwätz. Vieles muss ich bieten: Überraschung, Feuer, konkrete Wörter, schlanke Sätze, Lesefluss. Und: «Wer im Orkan gehört werden will, muss sich kurz fassen» – der Schweizer Essayist Walter Muschg hat das gesagt. Wo aber bleibt bei alldem der eigene Stil – der Ausdruck der Persönlichkeit? Hier gilt es, eine Rangordnung aufzustellen. Ziemlich jeder Schreiber geht davon aus, dass er die Regeln der Grammatik zu respektieren hat (Lyriker und Rapper ausgenommen), und zumeist empfindet er das nicht als Korsett.

1. Der erste Satz

Muss catchy sein.

“Wir trafen Jesus in der Mittagspause kurz vor der Kreuzigung.” Und wer nach diesem ersten Satz den zweiten nicht liest, der ist nicht von dieser Welt.

2. Die ersten 350 Zeichen

Müssen das Interesse wecken und hoch halten

Oft habe ich mich gefragt, woraus ein Hot Dog eigentlich besteht. Nun weiß ich es. Aber lieber wüsste ich es nicht.

3. Konkret sein

Der sicherste Weg, die Aufmerksamkeit des Lesers zu wecken und wachzuhalten, ist der, besonders, bestimmt und konkret zu sein.

«Wir hatten einen lustigen Abend» berichtet sich einfacher, als wenn man ein oder zwei konkrete Beispiele für die Lustigkeit herausgreifen müsste, um das Abstraktum anschaulich zu machen.

Zimt und Pfeffer sagen, statt “Gewürze” Keine Backwaren, sondern “Vollkornbrötchen” und Schokotorte!

4. Nicht immer alles ausformulieren

Nur weil 7 Dinge passiert sind, muss man diese nicht aufzählen, man kann auch nur obskure rausfiltern.

Pars pro Toto, der Teil anstelle des Ganzen – ein klassisches Stilmittel mit zwei bedeutenden Vorzügen. «Der Sommer kam mit Erdbeeren, Sondermeldungen und Badewetter.»

5. Keine Füllwörter

Alle nachfolgenden Wörter sagen rein garnichts aus. Weglassen.

also, halt, an, sich, immerhin, ausgerechnet, irgendeine, dann, irgendwie, doch, ja durchaus, nämlich, eben, natürlich, echt, nun, eigentlich, quasi, einfach, reichlich erheblich, sehr, freilich, sozusagen, ganz, überaus, gänzlich, überhaupt, genau völlig, geradezu, wohl, gern, ziemlich, gewissermaßen,

6. Bildhafte Redundanz

Zu viel Information ist zu dicht, zu viel Information aber langweilig. Ausschmücken mit Bildern!

Ich sage oder schreibe mehr als das logisch Nötige, aber nicht, weil ich schwatzhaft wäre (die ärgerliche Redundanz), sondern weil ich die Kraft von Beispielen, Bildern und Vergleichen kenne und sie investiere, um Leser zu finden und sie durch meinen Text zu ziehen.

Dem Leser eine Veranschaulichung vorzuenthalten, für die er sicher dankbar wäre, ist eine der größten Torheiten, die ein Schreiber begehen kann.

7. Witz & Ironie

Nötig, aber kritisch zu betrachten. Zu nah liegt der Fehler, dass es albern oder Ironie nicht erkannt wird.

«Brot für die Welt – die Wurst bleibt hier!» Das war einer der vielen «Sponti-Sprüche» – der fröhlichsten Hinterlassenschaft der Studentenbewegung von 1968. Oder dieser: «Allein schlafen verschärft die Wohnungsnot.» Und der: «Planung bedeutet, den Zufall durch den Irrtum zu ersetzen.» Dazu die Selbstironie: «Zu allem bereit und zu nichts zu gebrauchen», ebenso wie die Verspottung der anderen: «Ich denke – also bin ich hier falsch.»

8. Kurze und einfache Wörter

Benutze nie ein langes Wort, wenn ein kurzes es auch tut

Wetter liest sich leichter als «Witterungsbedingungen» Leere Betten sind anschaulicher als «Kapazitätsüberhänge im Beherbergungsgewerbe»

9. Mehr Verben!

Wo ein Verbum passt, wird es dem Substantiv vorgezogen.

Nicht «Unsere Aufgabe ist das Lösen von Problemen» oder «die Lösung von Problemen», sondern: Unsere Aufgabe ist es, Probleme zu lösen.

Und nicht: «Hier erfuhr er die Ursache der ganzen Entwicklung», sondern: Hier erfuhr er, wie alles gekommen war.

10. Mit Adjektiven knausern

Rat: Adjektive haben anzuklopfen, ehe wir sie einlassen, und die meisten bleiben einfach draußen.

11. Der Krampf der Synonyme

Es muss nicht immer für alles ein Synonym her!

«Köln» in einem Schulaufsatz zweimal zu erwähnen ist verboten, «die Domstadt» muss es heißen; Frankfurt die «Mainmetropole», und der Elefant darf nur als «Dickhäuter» wiederkehren.

12. Sexismus

Mehr auf feminine Formen achten!

13. Anglizismen

Nur vorsichtig verwenden.

Kein Wort ist allein deshalb schlecht , weil es aus einer fremden Sprache kommt. Gut aber ebenso wenig. Wer das Umfeld der allgemein bekannten und akzeptierten Anglizismen verlassen will, denke dreimal nach: Er könnte auf Unverständnis stoßen oder Antipathie produzieren.

14. Keine toten Sprichwörter

Bloß kein “Friede, Freude, Eierkuchen”. Sprichwörter wie diese sind so verkommen, dass sie nichts mehr bedeuten.

das kühle Nass, die Blechlawine und das Ende der Fahnenstange;

15. Verständliches Ausdrücken

Der schlimmste Feind verständlicher, kraftvoller Wörter ist das Imponiergehabe, der Einschüchterungsjargon – gepflegt von Bürokraten, Wissenschaftlern und in der Wirtschaft vor allem von Marktforschern und Vorstandsassistenten.

16. Einfache Sätze

Kurze, prägnante Hauptsätze bilden.

Für Hauptsachen, Handlungen, Schöpfungsakte ist allein der Hauptsatz da; der Nebensatz bietet sich an für Betrachtungen und Erläuterungen und für sonst nichts.

Folgt der Nebensatz dem Hauptsatz? «Wir brachen auf, als der Nebel sich lichtete»: Dann heißt er Nachsatz oder angehängter Nebensatz – die bei weitem häufigste und die überwiegend empfehlenswerte Form.

Steht er vor dem Hauptsatz? «Als der Nebel sich lichtete, brachen wir auf»: Dann heißt er Vorsatz oder vorangestellter Nebensatz

17. Eingebettete Nebensätze vermeiden

A1 - B - A2. Unbedingt vermeiden.

Steht er mitten im Hauptsatz? «Wir brachen, als der Nebel sich lichtete, auf» – dann heißt er Zwischensatz oder eingeschobener Nebensatz und ist (wie man beim lauten Lesen hört) eine Missgeburt.

18. Nebensätze

Nebensätze sollten keine Handlung tragen, nur zusätzlich beschreiben.

Wie alle Nebensätze darf auch der angehängte niemals eine Handlung tragen. «Am Montag bezog er das Haus, das schon drei Tage später abbrannte» wäre grotesk. Ein Nebensatz zum Haus dürfte nur eine Erläuterung sein: «Am Montag bezog er das Haus, auf das er zehn Jahre hingespart hatte – und drei Tage später brannte es ab .»

Nur prägnante Hauptsätze bilden aber keine schöne Sprachmelodie. Daraus folgt als Faustregel: Jeder dritte Hauptsatz könnte/sollte mit einem angehängten Nebensatz ausklingen.

19. Hauptsätze

Hauptsätze sind die erste Wahl. Jeder Schreiber versuche, zuallererst sie zu nutzen;

«Stell dir vor, es ist Krieg, und keiner geht hin.»

20. Maximal 6 eingeschobene Wörter

Besteht ein Tätigkeitswort aus zwei Teilen:

ich habe … gemacht ich werde … kommen ich möchte … schlafen ich erkenne … an

so dürfen wir von der Grammatik her beliebig viele Wörter dazwischenklemmen – von der Verstehbarkeit her aber nur 6

Sätze sind nicht dazu da, ihre Leser nach langer Fahrt durch eine Nebelsuppe in ihren Vermutungen zu enttäuschen oder zu bestätigen – ein Satz hat zu sagen , was er sagen will.

21. Sage Zeitig was du willst

Schlechtes Beispiel:

Auch Moderatorinnen und Moderatoren wie Sandra Maischberger, Anne Will, Frank Plasberg und Tom Buhrow sowie der AR D-Vorsitzende Fritz Raff und zahlreiche weitere Programmverantwortliche der ARD kamen gestern Abend ins AR D-Hauptstadtstudio .

Besser:

«Ins AR D-Hauptstadtstudio kamen gestern Abend …»

22. Sätze wie Pfeile

Der Inhalt sollte sich in einem Satz vorwärts bewegen

«Da treibt ihn die Angst, da fasst er sich Mut und wirft sich hinein in die brausende Flut und teilt mit gewaltigen Armen den Strom, und ein Gott hat Erbarmen.»

23. Abwechselnde Anfänge in Hauptsätzen

Dafür gibt es 4 Möglichkeiten:

  • Umstandsangaben sind solche der Zeit («Morgen werde ich …»)
  • Mit dem Objekt beginnen. Man sollte dies sogar, wenn ein Text oder ein Redner sein Thema wechselt: «Den Ausgang des Krieges in Afghanistan nannte der Minister …»
  • Vorangestellter Nebensatz: «Ob ich schon morgen fahre, weiß ich noch nicht.»
  • Ausdrucksstellung (meh..): «Die Haare ausraufen könnte ich mir»